Im Gespräch mit Arthur Trossen

Arthur Trossen ist ehemaliger Wirtschaftsstaatsanwalt, Familien- und Vormundschaftsrichter, Berufsmediator, Ausbilder, Dozent und Autor, Herausgeber des Kommentars zum Mediationsgesetz „Mediation (un)geregelt“, Mitbegründer des Vereins integrierte Mediation e.V.

Wie wichtig ist das Thema Mediation für unsere Gesellschaft heute aus Ihrer Sicht?

Wenn wir uns die politische Landschaft anschauen, fällt auf, dass Entscheidungen getroffen werden, ohne dass auf den Konsens geachtet wird. Der BREXIT ist ein gutes Beispiel dafür. Es werden Entscheidungen getroffen, ohne dass der Nutzen (das Wozu) hinterfragt und abgestimmt wird. Niemand kennt den Weg (das Wie). Der Nutzen stellt sich wie ein Zufall im Nachhinein heraus oder auch nicht. Womöglich kommt es darauf auch gar nicht an. Es geht um Rechthaben und Siegen. Weiterhin fällt auf, dass die Menschen unachtsam mit Informationen umgehen. Als Fakten formulierte Bewertungen genügen, um tödliche Entscheidungen zu rechtfertigen. Eine Umwidmung genügt, um eine Niederlage als Gewinn zu verkaufen, die Anhänger zu beeindrucken und die vermeintliche Problemlösung zu suggerieren. Stärke ist wichtiger als Weisheit.

Die Mediation ist ein Prozess der Verstehensvermittlung. Sie achtet auf klare und verlässliche Informationen. Interpretationen werden erst möglich, nachdem die komplexen Bedeutungen aufgedeckt sind und hierüber ein Einvernehmen hergestellt wurde. Der Konsens ist das höchste Ziel. Die Mediation sucht erst dann nach Lösungen, wenn die Kriterien für deren Nutzen aus der Sicht aller Betroffenen geklärt und abgestimmt sind.

Diese Art des Denkens wäre für die Gesellschaft heilsam. Sie würde allerdings voraussetzen, dass sie nicht in Verfahren eingesperrt wird, derer sich die Entscheider ebenso leicht wie die Konfliktparteien entziehen können. Sie würde voraussetzen, dass die Mediation als ein Bewusstsein verstanden wird, das als Kulturgut vorgehalten wird, sodass ihre Kompetenz, wie die Bildung, jedermann zugänglich ist.

Das Thema Mediation ist also wichtig für die Gesellschaft, wenn sie sich nicht ausschließlich auf die Nachfrage einer Dienstleistung beschränkt und wenn sie gelebt werden kann. Die Nachfrage würde sich aus diesem Denken ergeben, weil es dazu führt, dass der Bedarf nach dieser Dienstleistung konsumentenseitig verstanden wird. 

Sie sind als Mediator und Dozent sehr viel im Ausland unterwegs; wie betrachten sie Mediation in Deutschland im internationalen Vergleich?

Die Mediation ist kulturabhängig. Es gibt deshalb ganz unterschiedliche Ausprägungen, die auch von der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Justiz beeinflusst werden. Demzufolge gibt es auch unterschiedliche Anwendungsschwerpunkte. Mein Eindruck ist, dass diese Einflüsse unterschätzt werden. Die Statistik dominiert das Denken. Der Erfolg wird an Abschlüssen, nicht an Bedeutungen ausgerichtet. Mordehai Mironi, ein befreundeter Professor aus Haifa, hat in einem Aufsatz ausgeführt, dass die Entwicklung der Mediation in Israel in drei Phasen abgelaufen sei: die „formative period“, die „mediation revolution“ und den „decline of mediation“. Er hatte die Mediation trotz der gestiegenen Nachfrage für gescheitert erklärt, weil sie im Endeffekt nicht mehr war als Vergleichsverhandlungen, die nunmehr allerdings als Mediation bezeichnet werden. Ich befürchte, Deutschland ist auf einem ähnlichen Weg. Wie in Israel hat die gesetzliche Regelung der Mediation zur gesteigerten Aufmerksamkeit beigetragen. Das Interesse an der Mediation wird aber nicht notwendigerweise aus sich selbst heraus getragen. Je mehr man diesem Trend entgegenwirkt und versucht, die Mediation zu regulieren, umso größer ist die Gefahr, dass die Mediation zu einem Angebot degradiert wird, das zwar Formalien genügt, ihrer Bedeutung aber nicht gerecht wird. Ich betrachte es deshalb als einen Vorteil, dass sich der Gesetzgeber und das Ministerium in Deutschland bisher mit Regelungen zurückgehalten haben und sich nicht davon beeindrucken ließen, dass manche Länder, was die gesetzliche Regulierung der Mediation anbelangt, „weiter“ sind als wir. Ich würde mir wünschen, dass die Verantwortlichen behutsam mit dem unbedachten Ruf nach Regulierungen umgehen. Eine Regel steuert das Verhalten nicht unbedingt das Verständnis.

Wie bewerten Sie das heute vorhandene Verständnis zum Thema Mediation in Deutschland?

§ 1 Mediationsgesetz definiert die Mediation als ein Verfahren. Wenn bereits im §2 Mediationsgesetz vom Mediationsverfahren die Rede ist, muss man sich fragen, was die Definition in §1 bedeutet. Würde sie ernst genommen, dürfte nicht von einem Mediationsverfahren gesprochen werden, wenn die Mediation als ein Verfahren definiert ist. Wir sprechen ja auch nicht von einem Fahrzeugauto, weil jeder weiß, dass ein Auto definitionsgemäß ein Fahrzeug ist.

Bei der Mediation scheint man sich trotz der Definition in §1 Mediationsgesetz nicht sicher zu sein, dass sie ein Verfahren ist. Wovon sprechen wir also, wenn wir in Deutschland von „der Mediation“ reden? Was ist gemeint, wenn ich zum „Thema Mediation“ gefragt werde? Meinen wir die Mediation im Sinne des Mediationsgesetzes? Meinen wir die Mediation als Methode, als Geisteshaltung oder Konzept? Der Verdacht liegt nahe, dass die Mediation doch mehr ist als nur ein Verfahren. Deshalb ist auch unklar was gemeint ist, wenn davon die Rede ist, dass „die Mediation“ gestärkt werden soll. Die Stärkung der Nachfrage erfordert sicherlich eine andere Strategie als die Verbesserung der Kultur und des Miteinanders.

Die Sicht auf die Mediation ist diffus. Es gibt keine Vision, zumindest keine abgestimmte. Die Idee, dass die Mediation eine Bewegung werden könnte, hat sich scheinbar im Mediationsgesetz verloren. Obwohl der Gesetzgeber eine Diversifikation vermeiden wollte, hat er den Grundstein für Irritationen gelegt, die den Verbraucher ebenso wie den Verwender in gleicher Weise verwirren. Was soll man davon halten, wenn die Umfrage von Experten zur Evaluation des Mediationsgesetzes als Antwort auf die an Medianden gerichtete Frage: „In welcher Form ist das Mediationsverfahren abgelaufen?“ vorschlägt: (als) „Schlichtung oder Vermittlung“. Was soll man davon halten, wenn der Gesetzgeber im VSBG den Begriff des Streitmittlers einführt, obwohl auch der Mediator ein Streitvermittler ist? Wird der Verbraucher diesen feinen Unterschied zu differenzieren wissen, so dass er eine Idee bekommt, ob er sich dem einen oder dem anderen anvertraut? Ein Verbraucherschutz macht sich nicht daran fest, dass die Ausbildung geregelt ist oder Zertifikate vergeben werden, bei denen nicht einmal geklärt ist, für welche „Güte“ das so bezeichnete Gütesiegel herhalten muss. Welche Qualität soll die Ausbildung ergeben, wenn die Qualität der zu optimierenden Dienstleistung noch in keiner Weise klargestellt ist?

Der Verbraucher braucht klare Unterscheidungen. Sie lassen sich nur über eine abgestimmte Systematik und begriffliche Eindeutigkeit herstellen. Die Systematik muss sich auf die Vielfalt der Mediation einlassen und ihrem Wesen gerecht werden. Damit ihr das gelingt, muss man sich darüber verständigen, was das Wesen der Mediation ausmacht. Nur daran messen sich ihre Merkmale. Die Definition im Mediationsgesetz ist dafür bestenfalls ein Anhaltspunkt. Bei genauem Hinsehen vermischt sie die Wesensmerkmale mit den an den Eigenschaften zu orientierenden Bedingungen. Bei einer unreflektierten Verwendung ergeben sich plakative Lehrsätze, die ich als falsche Mythen bezeichne, weil nicht mehr eindeutig ist, inwieweit sie mit dem Wesen der Mediation in Einklang zu bringen sind.

Wie unterscheidet sich die Mediation von anderen Konfliktlösungs­methoden?

Eine systematische Unterscheidung differenziert zwischen Verfahren und Methoden. Das Verfahren ist der Container in dem die Methoden zur Anwendung kommen. Unter den Verfahren sind die Verfahren der Streitentscheidung und die Verfahren der Streitvermittlung zu unterscheiden. Verfahren der Streitvermittlung sind (von der Konfliktmoderation abgesehen) die Mediation und die Schlichtung als unterscheidbare Grundformen. Die Mediation ist eine Verstehensvermittlung. Die Schlichtung ist eine Lösungsvermittlung.

Darauf abstellend haben die Verfahren unterschiedliche Schwerpunkte. Sie ziehen unterschiedliche Verfahrenskonzepte nach sich, die unterschiedliche Kommunikationsmodelle ergeben. Der Unterschied ergibt sich nicht ohne weiteres aus den Handlungen des neutralen Dritten. Der Mediator kann und muss beispielsweise beraten und er kann auch Vorschläge machen. Eindeutig ist diese Feststellung, wenn sich die Beratung auf das Verfahren und die Vorschläge auf die Verfahrensentscheidungen beziehen, die ja nur im Konsens getroffen werden können. Problematisch wird das Verhalten allerdings, sobald sich der Mediator in das Streitsystem der Parteien begibt und operativ an der Lösungsfindung mitwirkt oder in sie hineingezogen wird. Dieses Phänomen wird mit dem Grundsatz der Indetermination beschrieben und verhindert. Spätestens dann, wenn der Mediator für die Entscheidungsfindung instrumentalisiert wird, verliert er seine Rolle als Repräsentant der Metaebene. Dann hat er aus einer Mediation eine Schlichtung gemacht.

Das Beispiel soll zeigen, dass formale Abgrenzungen der Verfahren zwar eingängig sind, die Bedeutung der Mediation aber verschleiern. Sinnvoll ist es, die Verfahren nach ihrer Wesenshaftigkeit zu unterscheiden.

Wodurch unterscheidet sich das Konzept der „Integrierten Mediation“ von anderen Mediationskonzepten?

Der Unterschied liegt in der Herleitung. Die integrierte Mediation versteht die Mediation als einen Kognitionsprozess, der die Erkenntnisschritte und Bedingungen beschreibt, wie sich einvernehmliche Lösungen im Streit finden lassen. Der so beschriebene Erkenntnisprozess ergibt eine Matrix, in der die Mediation methodisch das perfekte Verfahren abbildet, an dem sich alle anderen Verfahren messen lassen. Im Vordergrund stehen funktionale, miteinander interagierende Einheiten, die das Zusammenspiel der Elemente und Systeme in einer Art und Weise beschreiben, dass sie die Leistungsfähigkeit der Mediation im Verfahrensverständnis einerseits verbessern und andererseits auch methodisch in anderen Kontexten verwertbar sind.

Sie sind derzeit dabei, eine umfassende Enzyklopädie über die Mediation in einem Wikiformat aufzubauen; welche Ziele verfolgen Sie damit und welche Zielgruppen sollen damit angesprochen werden?

Mir geht es darum, eine verbandsunabhängige Plattform zu schaffen, mit der sich Selbstreferenzierungen vermeiden lassen. Die Plattform soll ein konsistentes Wissen über Mediation, angereichert mit praktischen Erfahrungen und Belegen in einer Art und Weise vorhalten, die einen interdisziplinären und interprofessionellen Diskurs ermöglichen und nicht nur die Beiträge unterschiedlicher Disziplinen und Professionen aneinanderreihen. Die Wiki Technik ist hierfür ideal geeignet, weil sie ein kollaboriertes Zusammenführen der Informationen aus allen Disziplinen und Professionen erlaubt und der kollektiven Intelligenz aller Mediatoren und Experten einen Rahmen gibt.

Das Mediationswiki soll demnächst der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Schon jetzt enthält es nahezu alle Informationen, die Mediation in ihrer Vielfalt, ihre Herleitungen, ihre Anwendung und Vermarktung betreffen. Ein elektronischer Werkzeugkasten bietet Entscheidungshilfen für Mediatoren, sodass sie eine qualitativ hochwertige Dienstleistung sicherstellen können. Ein Verzeichnis der Benchmarks erlaubt ihre qualitative Bewertung. Ein Fehlerverzeichnis bewahrt sie vor der Haftung. Eine Datenbank möglicher Interventionen hilft ihnen auf die Sprünge. Sie finden einen Online-Kommentar zum Mediationsgesetz ebenso wie zur Ausbildungsverordnung (ZMediatAusbV), Musterverträge, Formulare, Rechenhilfen  und vieles andere mehr und das völlig kostenfrei.

Man mag sich vorstellen, was herauskommt, wenn diese Informationen wegen der Wikitechnik erweitert, kommentiert und diskutiert werden können. Das Mediationswiki, das übrigens in Anlehnung an das Harvard-Konzept „Wiki to Yes“ heißt, bildet eine Plattform die trotz der Vielfalt und Komplexität der Materie dazu beiträgt, ein Fundament für die Mediation zu sein in der sich ihre Systematik und terminologische Eindeutigkeit abbilden und herstellen lässt. Weil das Wiki für alle Zielgruppen, einschließlich der Betroffenen, der Studenten der Mediation, der Mediatoren, der Politiker und Funktionäre offen ist, erfüllt es die Funktion eines offenen Forums in dem sich Bedeutungen erhellen lassen und in dem die Mediation gelebt werden kann.

Gibt es besondere Erlebnisse aus Ihrer Mediationspraxis, an die Sie Sich besonders gern erinnern?

Ja, eine Menge. Zusammengefasst sind es nicht die Erfolge. Es ist der Weg, der beeindruckt. Schüler sagen, dass unsere Ausbildung ihr Leben verändert habe. Medianden sind so beeindruckt, dass sie sich nach einer Mediation zur Ausbildung bei uns anmelden; nicht um Mediator zu werden, sondern um zu lernen, wie es gelingt, sich nicht von Konflikten dominieren zu lassen. 

Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Mediator aus? Welche Voraussetzungen sollte er mitbringen?

Die Kompetenz des Mediators in einem Verfahren der Verstehensvermittlung ergibt sich aus seiner Verstehenskompetenz. Je mehr er versteht, umso mehr kann er vermitteln. Das Verstehen bezieht sich auf die gesamte Komplexität des Falles und der zu regelnden Lebensumstände. Es erstreckt sich über alle Intelligenzzentren des Menschen. Der Mediator muss diese Komplexität begreifen und bewältigen können. Damit er sie in die Mediation einbeziehen kann, muss er den Kognitionsprozess verstehen und in der Lage sein, sowohl für das Streit- wie für das Mediationssystem und letzten Endes für sich selbst eine wertefreie Metaebene herstellen zu können. Die Mediation lebt von und mit der mentalen Einstellung des Mediators. Damit ist kein Gutmenschsein gemeint, sondern die Fähigkeit im Rhythmus der Mediation wahrzunehmen, zu denken und zu kommunizieren.

Gibt es weitere Aspekte, die Ihrer Meinung nach in Bezug auf die Mediation wichtig sind?

Ich würde mir wünschen, dass sich die Prozesse der Implementierung der Mediation selbst an der Mediation messen lassen; dass man der Mediation eine Chance gibt, sich selbst zu entwickeln; dass die Mediation ein Subjekt ist mit dem man sich auseinandersetzt und kein Objekt über das man verfügt.

Möchten Sie unseren Lesern noch etwas mitteilen?

Ja, gerne. Ich habe in dem Interview Eindrücke und Meinungen geschildert, die möglicherweise einer Erläuterung bedürfen und einer Vertiefung, wofür das Interview keinen Rahmen gibt. Viele der Erkenntnisse stammen aus der Arbeit am Kommentar zum Mediationsgesetz, der immerhin für ein Gesetz mit nur 9 Paragraphen 960 Seiten umfasst. Wenn es die Leser inspiriert freue ich mich, wenn wir uns auf www.mediationswiki.de  begegnen und austauschen können. Hier http://mediationswiki.de/forumthread73 wäre beispielsweise ein Raum für die Diskussion. 

Vielen Dank für das Gespräch Herr Trossen.

Das Interview mit Arthur Trossen führte Robert Glunz.