Ein Gespräch mit Christian Prior zur Zukunftsfähigkeit der Mediation und Klärungshilfe

Christian Prior ist im deutschsprachigen Raum als Klärungshelfer,  Berater, Trainer und Autor tätig. Er verfasste zusammen mit Christoph Thomann das Praxis-Lehrbuch „Klärungshilfe 3“.

Herr Prior, wie wichtig und zukunftsfähig sind Mediation und Klärungshilfe für unsere Gesellschaft heute aus Ihrer Sicht?

Denken wir an die Flüchtlingskrise, die Deutschland aktuell sehr beschäftigt. Hier brauchen wir dringend Orte, an denen erzählt wird. Ich meine das Erzählen all der Fluchtgeschichten und der ganzen Kriegs- und Hintergrunderfahrungen. Das ist wichtig dafür, dass man ein Gefühl füreinander bekommt, um die natürliche Fremdheit zu überwinden. Das gilt für die geflohenen Menschen in den Flüchtlingsunterkünften, die auf engstem Raum miteinander leben und sich integrieren müssen. Aber auch für deren Nachbarschaft, damit Phantasien und Vorurteile ausgeräumt werden oder bestenfalls erst gar nicht entstehen. Diese Möglichkeit bietet in meinen Augen die Mediation, und eben nicht erst dann, wenn es schon schwere Konflikte gibt, sondern auch schon prophylaktisch. Besonders die Klärungshilfe bietet mit der Phase der Selbstklärung und der Methode des Bildermalens eine unmittelbare, die Sprachbarriere überwindende Form an. Emotionales wird quasi jenseits der Sprachbarriere erfahrbar. 

Wir hatten kürzlich einen jungen unbegleiteten Flüchtling bei uns zu Hause zum Kaffeetrinken eingeladen. Meine Frau ist in der Flüchtlingshilfe sehr aktiv. Und wir sind jenseits der sprachlichen Grenzen mittels Zeichnen miteinander ins Gespräch gekommen. Unser Gast erzählte uns, wie sein Fluchtweg war, wie eng es im LKW war, wo er im Schlauchboot saß, was er auf seinem langen Weg alles erlebt hat. Er malte Bilder und machte es somit möglich, dass wir seine Geschichte recht gut nachempfinden konnten. Und das ist ja ein prägendes Element der Klärungshilfe, dass man die Hintergründe versteht. 

Mediation also als Möglichkeit der Prophylaxe?

Die Vorbeugung ist der eine Aspekt. Die Klärungshilfe bietet ja aber primär den Vorteil, dass man einen Ort für Auseinandersetzung hat. Quasi ein „Gefäß“ für einen heilsamen Streit. Streiten ohne unnötig zu eskalieren oder gar neu zu verletzen. Wir schauen dazu im ersten Schritt nicht auf die im Untergrund verborgenen Interessen und Bedürfnisse, sondern primär auf die mittlerweile entstandenen Emotionen wie beispielsweise Angst, Unmut, Enttäuschung,  Verärgerung oder Hass. Wir wollen, dass vor allem erstmal sein darf, was ist, und sich dieses langsam miteinander verknüpft. Für uns ist wichtig, dass die jeweils andere Seite mehr und mehr nachvollziehen kann, woher diese heftigen Gefühle kommen. 

Klärungshilfe ist damit in meinen Augen etwas typisch Europäisches,  typisch Deutsches. Eine Kultur, in der das Individuum sowie seine Gefühle und Bedürfnisse zählen. Wo man einem Streit auf den Grund geht und auch als Einzelwesen konfrontiert wird. Dies ist eine Herausforderung für Kulturen, in denen man eher auf Stolz und Ehre achtet, wo die Frauen wenig Rechte haben und das Wort des Vaters oder Onkels Gesetz ist – und entsprechend eine ganz andere Art der Konfliktregelung gewachsen ist. Idealerweise würde man deshalb schon früh Klärungshilfe und andere mediative Verfahren bei Streitigkeiten in Asylunterkünften einsetzen. 

Mal ein Blick in die Geschichte: Wie hat sich die Klärungshilfe eigentlich entwickelt?

Entwickelt hat sie Christoph Thomann in den siebziger Jahren. Er arbeitete damals schon erfolgreich als Therapeut in eigener Praxis mit hochzerstrittenen Paaren. Dann  haben sich Friedemann Schulz von Thun und er 1977 bei einem Seminar von Ruth Cohn kennengelernt. Sie begannen zusammen zu arbeiten – Seminare, Vorträge, Klärungen im beruflichen Bereich, auch eine TV-Serie beim NDR3 war dabei  - und wurden dadurch Freunde. Natürlich diskutierten sie intensiv über Konflikte, Kommunikation und ihre Reparatur. Anfang der achtziger Jahre schlug Friedo Schulz von Thun Christoph Thomann vor, sein oft intuitives Vorgehen wissenschaftlich zu beforschen und zu schauen, welche Prinzipien dahinterstecken. Und so hatten die beiden ein gemeinsames Projekt. Sie schalteten über die Bildzeitung eine Anzeige und luden Paare mit Konflikten zu einer kostenfreien Beratung in die Uni ein unter der einzigen Bedingung, dass eine Kamera während der Sitzungen laufen darf. Christoph Thomann agierte mit den Paaren vor der Kamera, während Schulz von Thun und zwei Forscherinnen dahinter saßen, mitschrieben und alles einzuordnen versuchten. Auf dieser Grundlage entstand die Doktorarbeit von Christoph Thomann, die dann von Schulz von Thun gekürzt als „Klärungshilfe 1“ beim  Rowohlt Verlag  veröffentlicht werden konnte. Beide gelten seither als Entwickler der Klärungshilfe. Friedo war sozusagen der Geburtshelfer der Theorie dieser von Christoph in der Praxis begründeten Methode. Und Friedo hat ihr letztlich den Namen gegeben, der übrigens bis heute als altbacken und zu bieder gilt. Vielen klingt er nicht englisch oder optimistisch genug. Aber er beschreibt nüchtern und genau, was wir machen, nämlich zur Klarheit verhelfen.

Sie bezeichneten vorhin die Klärungshilfe als spezielle Form der Mediation. Nun interessiert uns, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sehen Sie bei der Klärungshilfe und der Mediation.

Ganz grundsätzlich müssen wir da zuerst die Begriffe genauer betrachten. Ich verstehe Mediation als eine Vorgehensweise, bei der eine dritte Person den Konfliktpartnern dabei hilft, wieder ins Gespräch zu kommen, so dass sie letztlich ihre Probleme wieder alleine lösen können. Dabei wird ihnen nicht von außen gesagt, was richtig und falsch ist, werden keine Vorschläge und Lösungen unterbreitet, wie zum Beispiel beim Schlichter oder Richter. Ein Mediator hilft den Parteien vielmehr, wieder selbst miteinander klar zu kommen. Mediation und Klärungshilfe sind also keine Gegensätze. 

Mediation ist also der Oberbegriff und Klärungshilfe eine spezifische Form davon?

Ganz genau. Deutliche Unterschiede gibt es zu anderen Verfahren mit ressourcen-, lösungs- und verhandlungsorientierten Vorgehen, die häufig mit dem Begriff Mediation gleichgesetzt werden. Einfach gesagt: Klärungshelfer fragen am Anfang nicht, für welche Themen die Parteien Lösungen erarbeiten wollen. Sie erforschen auch nicht im nächsten Schritt, welche Bedürfnisse und Interessen der Parteien hinter den Positionen stecken, um sie auf dieser Basis bei einem konstruktiven Lösungsdialog zu unterstützen, der möglichst viele Optionen beinhaltet. 

Klärungshelfer fragen vielmehr: Welche Themen wollen Sie in diesem Gespräch klären? Was ist denn aus Ihrer Sicht geschehen, dass Sie jetzt nicht miteinander auskommen? Wir rollen damit den erduldeten Kränkungen und verletzenden Vorwürfen quasi den roten Teppich aus, um verstehen zu helfen, was passiert ist und die Parteien aktuell daran hindert, selbst gute Lösungen zu erarbeiten. Klärungshilfe unterstützt die Parteien also bei einem konstruktiven Streit ohne neue Verletzungen. Dieser offene, direkte „Dialog der Wahrheiten“, die ja auf den einzelnen Wahrnehmungen basieren, diese sich über die Hälfte der gesamten Zeit erstreckende Zwiesprache, ist wahrscheinlich das Charakteristischste der Klärungshilfe.  

Hat dieser Fokus auf dem Klärungsdialog Folgen für Form und Dauer des Gesprächs?

Da wir die emotionale Wucht kontrolliert und möglichst vollständig abarbeiten wollen, führen wir üblicherweise nur ein Gespräch, das dafür aber deutlich länger ist als bei anderen Verfahren, die den Prozess auf mehrere kleine Etappen verteilen.

Und da wir die Parteien dabei unterstützen wollen, vorneherum auch emotional schwierige Themen zu besprechen, vermeiden wir ebenfalls Einzelvorgespräche, die schnell vorab eine emotionale Entladung außerhalb der eigentlichen Runde mit sich bringen und zudem eine unvermeidbare Misstrauenskomponente im Schlepptau haben. 

Ach ja, ein weiterer Unterschied ist gewiss auch das Maß, mit dem wir Klärungshelfer unsere eigenen Gedanken und Interpretationen nach dem Dialog sichtbar machen und in Form einer beruhigenden „Erklärung“ den Parteien anbieten. Damit wollen wir zeigen, wie sich das eben im Dialog Erlebte auch noch verstehen und einordnen lassen könnte. Eben nicht in: „ich Opfer, du Täter“ oder „ich reagiere nur, du aber agierst ja  - und zwar boshaft“. Sondern in einer Erklärung, die die systemische Verstrickung betont. Und zudem eine Erklärung, die dabei aber nichts zudeckt oder gar beschönigt.

Die überwiegenden Gemeinsamkeiten zu anderen Verfahren sind ganz ähnliche Wertvorstellungen, ein ähnliches Menschenbild und ein klar beschriebenes und systematisches Vorgehen. Nochmal pointiert gesagt ist vielleicht im Kern der Unterschied die Rehabilitation der Du-Botschaft und Vorwürfe. 

Wann würden Sie sich eher für eine von beiden Methoden entscheiden?

Ob ich mich für die Methode der Klärungshilfe entscheide hängt davon ab, inwiefern eine gemeinsame Zukunft der Parteien gefordert oder gewollt ist. Wenn klar ist, dass sie sich trennen werden, und dass sie dafür einen möglichst guten und friedlichen Prozess benötigen, der ihnen eine halt- und tragbare Lösung liefert, dann kann man auf Basis einer lösungsorientierten Mediation alles gut auseinander dividieren. 

Wenn aber klar ist, dass die Parteien sich nicht trennen können oder wollen, also die zu findende Lösung hinterher miteinander leben müssen, dann müssen wir bildlich gesprochen zuerst die Dicke des Eises vermessen, bevor wir allzu schwere Lösungen draufstellen und diese einbrechen. Und dafür ist die Klärungshilfe ein sehr geeignetes Verfahren. Also für Paare mit gemeinsamen Kindern oder der gesamte innerbetriebliche Konfliktbereich.  Hier ist es ratsam, nicht nur gute Lösungen zu produzieren, sondern auch die ganzen Ungeheuerlichkeiten miteinander zu besprechen, damit diese nicht im Nachgang weiter zwischen den Zeilen ausgekämpft werden müssen. 

Können Sie sich eigentlich auch eine Kombination beider Methoden vorstellen?

Ja, das ist durchaus denkbar und schön veröffentlicht von meiner Kollegin Peggy Keller mit unserem sogenannten Vorhangmodell. So kann man in einem mediativen Prozess, in dem plötzlich eine schwierige, angespannte Stimmung in der Luft liegt, den Parteien vorschlagen, die Hintergründe für derartige unterschwellige, abwertende Energien herauszufinden. Dann würde man sozusagen mit dem Öffnen des Vorhangs zu einem Blick dahinter einladen, ein Blick auf die Bühne des Untergrunds und das, was sich dort abspielt. An dieser Stelle würde man die Parteien bitten, sich erst zu notieren, was beide gerade erleben, um dann nacheinander aus ihrer Sicht dem Mediator darzustellen, was sie gerade ärgert und stört. Dann folgt ein Dialog der Wahrheiten darüber nach dem Motto „Was sagen sie dazu und wie reagieren sie darauf?“ Nach einer definierten Zeit vereinbaren dann die Parteien, was sie mit der erarbeiteten Klarheit machen, oder wann und wo der Faden wieder neu aufgenommen wird. Dann schließt man den Vorhang wieder, macht eine kurze Pause und knüpft an dem an, wo man vorher miteinander war. Das wäre eine Möglichkeit, die beiden Methoden zu kombinieren.

Können Sie uns bitte nochmals kurz im Überblick schildern, welche Anwendungsbereiche für Klärungshilfe generell in Betracht kommen.

Wie wir vorher bereits gesehen haben, ist dies besonders interessant in Bereichen, wo Menschen miteinander leben und arbeiten müssen und hierfür ihre Beziehungsthemen gut miteinander klären sollten. Folglich kann ich hier die beiden großen klassischen Anwendungsbereiche nennen: den innerbetriebliche Bereich sowie die Paar- und Familiensituation. Hier ist meistens klar, dass man nicht so schnell auseinander geht.

Und was halten Sie von der Schule und dem Bereich der Nachbarschaft als Anwendungsgebiete der Klärungshilfe?

Ja, gerade die Schule bietet sich hier hervorragend als Anwendungsbereich an, wo man miteinander auskommen muss. Das betrifft die Lehrer und die Schüler, den Klassenverband, die Lehrer untereinander, aber auch den Kontakt mit den Eltern. Meine Frau ist Lehrerin und wendet dies auf ganz schöne, berührende Weise an. Kinder sind ja ganz offen für diese Gefühlsdimensionen. Und wenn man miteinander gut in einen Dialog kommt, ist viel an innerer Bewegung zu spüren. 

Auch in der Nachbarschaft spielt Klärungshilfe eine Rolle, wenn man sich sagt, man möchte wieder einen guten Kontakt haben und verstehen, was passiert ist. Da braucht es nicht nur eine Regelung, wann, wie und von wem die Hecke zu schneiden ist, sondern auch eine Begegnung und einen Dialog. 

Für weitere Anwendungsfelder möchte ich hier auch das Buch „Klärungshilfe konkret“ erwähnen, das Christoph Thomann und Barbara Kramer herausgegeben haben und in dem 14 Klärungshelfer von ihren Erfahrungen erzählen. Das geht von Schule über den Einsatz mit geistig Behinderten bis hin zu einem öffentlichen  Konflikt bei einer Flussbegradigung.

Welche Faktoren sind Ihrer Meinung nach besonders entscheidend, damit eine Klärungshilfe erfolgreich wird?

In jedem Fall bedarf es der Bereitschaft zu „Klarheit und Wahrheit“. Im innerbetrieblichen Bereich beginnt dies bei der Führungskraft. Sie muss ein offenes und ehrliches Gespräch über Führung und Zusammenarbeit wollen und durch ihren Beitrag ermöglichen. Entsprechend muss sie von Anfang an bis zum Schluss persönlich anwesend sein. Denn Konflikte sind Chefsache und nicht delegierbar. Lediglich die Moderation eines solchen Gesprächs kann sie in andere Hände legen, also in unsere als Klärungshelfer. Und da nicht alle schwierigen Situationen positiv aufzulösen sind, ist es auch unerlässlich, dass die Führungskraft sich im Vorfeld ganz konkrete Gedanken macht, welche Konsequenzen im Nachhinein eventuell nötig sind.
Hat eine Führungskraft diese Bereitschaft für mögliche Konsequenzen, auch bei ihrem eigenen Verhalten, nicht, so ist es fahrlässig, bei den Mitarbeitern Klarheit und Wahrheit zu fordern und Hoffnung auf Veränderung zu nähren, dann aber nichts zu verändern.

Natürlich braucht es auch das Vertrauen und die Bereitschaft der Mitarbeiter zu Klarheit und Wahrheit. Beides behutsam zu gewinnen ist vorrangig Aufgabe der Führungskraft, die durch ihre Worte und noch mehr durch ihr Tun dieses sich erst verdienen muss. Der Klärungshelfer unterstützt sie darin, gerade auch dadurch, dass er die Mitarbeiter zur Vorsicht ermahnt, denn tatsächlich ist mit nichts zu garantieren, dass es keine negativen Konsequenzen geben könnte. 

Ein weiteres Erfolgskriterium ist der richtige Teilnehmerkreis. Als Klärungshelfer muss ich im Dialog mit dem Auftraggeber genau überlegen, wer nicht nur beteiligt, sondern auch betroffen ist und beim Gespräch dabei sein muss, und wieviel Zeit ich entsprechend dafür brauche. Wenn ich beispielsweise ein Lehrerkollegium von 80 Personen habe, kann ich mir überlegen, ob ich sie in Gruppen einteile, die ihrerseits wiederum Sprecher bestimmen, die in den einzelnen Gesprächsschritten dann zu Wort kommen. Ich muss mir also das Design genau überlegen.

Welche Rolle wird Ihrer Meinung nach die Klärungshilfe in Zukunft spielen?

Hierzu gab es letztes Jahr in Berlin ein Gespräch zwischen Christoph Thomann, Tilman Metzger und mir auf Seiten der Klärungshelfer, sowie zwei Mitgliedern des Vorstands des Bundesverbandes Mediation Anusheh Rafi und Doris Wietfeldt.  Dabei ging es nach fünf Jahren Mitgliedschaft im BM um die Frage, ob das Verfahren der  Klärungshilfe beim Bundesverband Mediation gut aufgehoben ist. Und das Ergebnis war von allen Seiten positiv – gut nachzulesen im Artikel „Klärungshilfe trifft Mediation“ in der Ausgabe 56 vom Spektrum Mediation.

Und dementsprechend wird sich auch die Zukunft der Klärungshilfe im Rahmen der Mediation gestalten. Es gibt jedoch noch Diskussionsbedarf, beispielsweise im innerbetrieblichen Kontext zum Thema „Freiwilligkeit“. Wir interpretieren sie dort etwas anders als manche Kollegen. Da gilt es, miteinander im Gespräch zu bleiben. Aber für mich ist die Zukunft klar: Wir gehören da zusammen; wir gehören dazu, unter dieses Dach. Und ich sehe hier eine wechselseitige Neugierde, die ich begrüße und gerne weiter pflege.

Gibt es eine besonders schöne Erfahrung aus Ihrer Praxis, die Sie uns mitteilen möchten?

Ja gern. Es gibt immer wieder sehr berührende Erlebnisse in der Klärung, wo sich etwas bewegt. Da fällt mir eine Klärung mit zwei Ordensfrauen ein, die einmal sehr miteinander befreundet waren, dann aber plötzlich überhaupt nicht mehr miteinander umgehen konnten. Und so kam ich zu unserem ersten Treffen in den Raum und verspürte sofort eine eisige Kälte zwischen beiden. Das schockte mich erst einmal sehr. Ich konnte fast gar nicht glauben, dass  zwei Ordensfrauen dermaßen verhärtet miteinander sein konnten. Und das brachte mich zunächst dermaßen aus der Fassung, dass ich bei meiner Vorstellung stotterte und rot anlief, was mir vorher so noch nie passiert ist. Dies war aber vielleicht gar nicht so von Nachteil, weil ich dadurch ihr Mitgefühl weckte. Wir konnten dann recht gut miteinander arbeiten. Und so kamen wir im Dialog bei der Klärung der Hintergründe auf eine Situation zu sprechen, die bei allen ein Aha-Erlebnis auslöste. Es war ein Missverständnis, das sich hier ereignet hat und die Ursache für alle Verwicklungen war. Die eine Ordensschwester hatte eine OP und bekam in der Phase danach, als die Narkose noch wirkte, nicht mit, dass ihre befreundete Ordensschwester an ihrem Bett saß und sich um sie kümmerte. Und so war sie sehr enttäuscht, weil sie der festen Überzeugung war, ihre Freundin habe sich in diesen schweren Stunden nicht um sie gekümmert. Leider hatte sie das damals aus der Kränkung heraus nicht thematisiert und so ergab sich dann ein wechselseitiger Teufelskreis, der immer weiter in die Verhärtung beider Ordensschwestern mündete. Den Beginn dieser Dynamik konnten wir erst nach längerem Dialog freilegen, so weit war er bereits aus dem Bewusstsein gewichen.  Mit der Aufbereitung der ganzen unglücklichen Geschichte löste sich die Verhärtung allmählich wie Schnee in der Frühlingssonne. Und beide haben wieder zueinander gefunden. Noch heute sind beide voll tiefer Dankbarkeit für dieses Gespräch und darüber, wie dieser Klärungsprozess ablief. 

Welche Voraussetzungen sollte jemand mitbringen, der sich zum Klärungshelfer ausbilden lassen möchte?

Es braucht eine Bereitschaft, dem Schwierigen, Unangenehmen und  Negativen einen angemessenen Raum zu geben. Nur mit anderen Lösungen finden zu wollen reicht nicht aus.  Was ein Klärungshelfer also braucht,  ist die Bereitschaft zur negativen Wahrheit im eigenen Leben. Hat er diese, dann strahlt er etwas aus, das den unmittelbaren Konfliktparteien vermittelt, er kenne bei sich auch die unguten Gefühle, die man im Konflikt erlebt,  Gefühle wie Angst, Ohnmacht, Alleinsein, Ausgeliefertsein. Aber auch die sozial schwierigen Gefühle wie Ärger, Überheblichkeit, Verachtung und dergleichen. Und auch wenn man sie nicht mag, gehören sie unweigerlich zu einem selbst. Wenn sich dann im Gespräch bei den Parteien solche Gefühle zeigen, merken sie, dass sie dafür vom Klärungshelfer nicht verurteilt werden, und das ist schon mal viel wert für Vertrauen und eine erste Auflösung der Emotionalität.

Ansonsten braucht ein Klärungshelfer dieselben Voraussetzungen wie ein Mediator, um erfolgreich zu sein, vor allem eine gewisse Ruhe und Klarheit sowie Zuversicht und Methodenvielfalt. Und wir brauchen auch eine Kompetenz, unsere eigenen Ressourcen wieder aufzutanken, um uns immer wieder aufzubauen, zu stabilisieren und dann Gutes tun zu können. Denn der Klärungsprozess selbst ist an vielen Stellen hart und steinig. Natürlich bedarf es auch einer großen Portion Strukturiertheit und Klarheit, um den Parteien gegenüber Sicherheit ausstrahlen zu können.

Möchten Sie uns allen noch etwas mit auf den Weg geben?

Ja, ich möchte gern ein Missverständnis aufklären, das sich leider verbreitet hat. Manche denken, die  Klärungshilfe sei eine Methode, bei der es darum geht, dass man wild streitet und encounter-artig spontane Äußerungen von Aggressionen, Sympathien und Antipathien macht, dass man rein geht in seine Wut und hinterher eine kathartische  Erleichterung erfährt. Dies aber ist keine Klärungshilfe, kein verantwortlicher Umgang mit Menschen in schwierigen Situationen. Was wir wollen ist ein zivilisierter Dialog über die strittigen, schwierigen Themen ohne die Abkürzungen über die Bedürfnisse und Interessen der Betroffenen. Wir wollen ihnen gerade bei diesen heiklen Themen geschmeidig helfen, im Gespräch bleiben zu können. Das ist das, was mir noch wichtig ist und am Herzen liegt.

Vielen Dank Herr Prior für dieses Gespräch, Ihre umfassenden Antworten und die Einblicke in Ihre Praxis als Klärungshelfer.

Das Gespräch führte Heidi Bottlinger-Gosslau, Pressesprecherin Bayern der Deutschen Stiftung Mediation.

München, den 11. März 2016